7.7.
Dank E-Boardingpass geht der Check-in am Flughafen Zürich schnell. Ohne Handgepäck reisen ist ungewohnt, und an der Wanderhose sind zu wenige Taschen für Portemonnaie, Reisepass, Kamera und Handy. Kaffee und Mandelgipfel, noch ein grosses Bier. Abflug mit 30 Minuten Verspätung. Grandiose Aussicht über Dänemark und Südnorwegen, Fjorde und erste Gletscher.
Der Flughafen von Bergen wirkt fast ausgestorben, die “Bybahnen” S-Bahn ins Zentrum ist auch fast leer. Wir steigen am Danmarks Plaza aus, fummeln am Handy-Navi herum. Ein Norweger unseren Alters bietet uns sein Hilfe an, und wir wissen nicht einmal den Namen der Straße für unser Airbnb. Er begleitet uns ein Stück weit, spricht sowohl Deutsch als auch Englisch, und ist Müllfahrer - deswegen kennt er auch jede Straße hier.
Die Airbnb Wohnung ist tip-top. Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein Ausdruck mit den wichtigsten Informationen (WLAN-Gastzugang, empfohlene Restaurants etc.) und im Kühlschrank gibt es alles mögliche zum Frühstück. Wir genehmigen uns fish & chips sowie einen erstklassigen Burger im nahegelegenen Imbiss. Sonnenuntergang ist kurz vor 11, kurz vor 12 gehen wir schlafen. Es ist immer noch hell...
8.7.
Früh aufstehen, Kaffee kochen und Rühreier zubereiten. Per S-Bahn geht es zum Bahnhof, und dann per Zug nach Voss. Herrliches Wetter, gefühlte hundert Tunnel, die immer wieder ein kurzer Blick auf den Fjord gewähren. Der Bahnhof von Voss ist für Touristen ausgelegt. In der Stadt kaufen wir eine Wanderkarte und mieten einen Generalschlüssel für unbewartete Berghütten. Am Ufer des Sees starten Tandem-Gleitschirmflieger per Motorboot, und werden quasi an der Leine um den See gezogen. Dann geht’s per Bus weiter nach Kinsarvik, ebenfalls durch einige lange Tunnel (mit Kreisverkehr und blauer Beleuchtung).
In Kinsarvik starten wir auf Meereshöhe, nehmen den alten Husedal-Fielenweg Richtung Stavalihütte. Es ist ziemlich warm, und wir sind dankbar für den bewaldeten Wanderweg neben dem rauschenden Fluss. Es gibt vier signifikante Wasserfälle auf dem Weg nach oben. Nach dem zweiten endet die Fahrstraße, und es geht weiter steil bergauf auf einem schmalen Wanderweg durch moosige Wäldchen mit Farnen und Felsen.
Drei vielleicht 30 jährige schwer gepackte Norweger mit zwei ebenfalls schwer bepackten Hunden bieten uns an, Photos für uns zu machen. Sie sind ebenfalls Richtung Stavalihütte unterwegs und wollen bis Geilo wandern. Ab und zu fliegen Hubschrauber betuchte Touristen zu den Wasserfällen.
Unterhalb des dritten Wasserfalls bietet es sich zum Campieren an. Es ist flach, und sogar ein kleines Klohäuschen gibt es. Die besten Plätze sind zwar bereits belegt, aber direkt neben dem Weg finden wir noch ein halbwegs flaches Stück Wiese. Füsse waschen, kochen, ein paar Dehnübungen. Es ist noch glockenhell, aber um 10 fallen wir erschöpft in die Schlafsäcke. Tatsächlich scheinen auch die Einheimischen schon alle zu schlafen. Ein Rätsel der Chronobiologie klärtsich für mich langsam auf…
9.7.
7 Uhr. Es hat ein bisschen geregnet, und der Himmel ist recht bewölkt. Kaffee, Porridge, Zelt abbauen. Eine vielleicht 50jährige Norwegerin kommt uns mit grossem Rucksack entgegen. Wir plaudern ein wenig. Sie ist den ganzen Weg von Flåm via Finse gelaufen, hat in der Wildnis gezeltet. Hier und da war es kalt bzw. sehr weit, sagt sie. Jetzt ist sie fast fertig mit ihrer Wanderung - Kinsarvik ist das Ziel ihrer Wanderung. Unser eigentlicher Ferienplan sieht zwar ganz anders aus, ihre Route jedoch klingt für uns sehr spannend.
Wir pilgern los, den Weg links vom Wasserfall hinauf. Fast an der Baumgrenze wachsen nur noch krüppelige Birken und hüfthohe Sträucher auf dem grauen Fels. Der vierte Wasserfall sind eigentlich zwei, und danach mäandert der Fluss gemütlich über die von Gletschern glattgeschliffenen Felsen. Yosemite-feeling.
Nun geht es einige hundert Höhenmeter eine glatte Felsplatte hinauf. Zunächst ist der Rückenwind sehr angenehm. Zum Rasten oben auf der Platte braucht es jedoch bereits einen Windschutz, so stark pfeift es uns um die Ohren.
Nach einem kurzen Anstieg erreicht man die Passhöhe. Dahinter schlängelt sich der Weg durch Beerenbüsche und über Felsplatten langsam bergab. Die Aussicht auf die glatt geschliffenen Berghänge, den Fluss und den grossen See ist fantastisch.
Etwa um halb 2 erreichen wir mit müden Füssen die Stavalihütte. Hier oben, immer noch über der Baumgrenze, weiden ein paar Schafe. Eine Familie bewirtschaftet die Alm und kredenzt Kaffee und lecker Kuchen. Eitel Sonnenschein. Gestärkt pilgern wir weiter. Es wellt recht, und immer gibt die Landschaft neue Ausblicke frei.
Späte bläst der Wind ziemlich stark, und die Sonne macht sich rar. Gleich fühlt es sich sehr viel kühler (und lebensfeindlicher) an. Schneefelder, dutzende Seen, kleine Bäche, ein paar Beerensträucher. Gestreifte Vögel sind alarmiert über unsere Anwesenheit, und klingen wie das Warnsignal beim Rückwärts fahren.
Gegen 6 beschließen wir ziemlich erschöpft, das Zelt an einer windgeschützten Stelle zwischen zwei felsigen Hügeln an einem See mit Schneefeld direkt auf dem Trail aufzustellen. Hier bläst der Wind weniger, dafür gibt es viele Mücken. Mich fröstelt, und es ist mir sogar zu kalt zum Füsse in dem kleinen Teich waschen. Nur noch ein Fertiggericht kochen, um 10 schlafen wir schon…
10.7.
Strahlender Sonnenschein. Wir sind zeitig wach, trinken Kaffee, essen unseren obligatorischen Porridge. Schon kommt die erste Wandererin fast über unser Zelt gestolpert.
Ausgeruht und bei dem tollen Wetter kommen wir gefühlt sehr zügig voran. Wir treffen die Wandererin wieder, plaudern ein bisschen. Kurz vor Mittag sehen wir den Harteigen. Dieser markante Berg ist ein Wahrzeichen der Haradangervidda. Gegenüber kommt bald der Gletscher "Hardanger-Jokulen" zum Vorschein - wow! Es gibt zwei Wanderwege, die von Voringsfossen um den Gletscher herum nach Finse führen. Das wäre doch was…
Bei einer gediegenen Wanderbrücke beschließen wir, ein Vollbad im Fluss zu nehmen. Das ist dringend nötig nach fast drei Tagen Wildnis. Auf den restlichen Stück bis zur Viveli-Hütte verirren wir uns noch kurz zu privaten Urlaubshütten. Dann endlich erreichen wir die Viveli-Hütte. Ein vielleicht 12 jähriges Mädchen schmeisst den ganzen Laden und serviert selbstgebackene Waffeln und Blaubeer-Kompott, soo lecker!
In der größten Mittagshitze pilgern wir weiter Richtung Voringsfossen bzw. Garen Camping. Der erste Teil des Weges führt den Fluss entlang und ist recht stark von Tagesausflüglern begangen - nur zwei Stunden entfernt gibt es einen Parkplatz. Auf dem weiteren Weg hat man Einblicke in ein tiefes Tal. Die Landschaft erinnert einmal mehr an Yosemite. Dann kommt unser Abzweig in Richtung Liseth-Hütte (weder Voringsfossen noch der Garen-Camping sind ausgeschildert). Der Pfad führt durch ein Wäldchen mit verkrüppelten birkenartigen Bäumchen und quietschgrünen Farnen und Schachtelhalmen. Weiter geht es durch Sumpfgebiete, wo der Boden unter den Füssen federt wie eine Matratze.
Eine abenteuerliche Brückenkonstruktion (zwei Aluminiumprofile und ein paar Holzpaletten) führt über einen Bach zu ein paar kleinen “Schwedenhäusern”. Eine ältere Frau überquert mit einem großen Eimer voller oranger Beeren ebenfalls die Brücke. Von ihr erfahren wir, dass diese Beeren, die wir so oft gesehen haben in den letzten Tagen tatsächlich essbar und mega-gesund sind (Moltebeere, gibt es nur in Nordeuropa, schmeckt erst wenn richtig orange).
Auf dem anschließenden Aufstieg probieren wir einige. Mit der Energie der Beeren und dem fast steinfreien Weg sind wir im Nu auf der Höhe angekommen, und können schon den Camping sehen! Nein, nein, den Umweg über Voringsfossen bzw. die Liseth-Hütte (der offizielle Wanderweg) nehmen wir nicht! Es muss einen direkteren Weg geben, auch laut unserer 10-jährigen Wanderkarte!
Das Osmand Navigationsprogramm auf dem Handy kennt den Weg nicht, dennoch pilgern wir frohgemut quer durch das weglose Sumpfgebiet Richtung Camping. Mal federt der moosige Boden, mal müssen wir durch kniehohes Gestrüpp. Es gibt viele orangen Beeren, und noch viel mehr Mücken, die sich jetzt mega auf ihr Abendessen (das sind wir) freuen. Eine Art Rebhuhn flattert laut reklamierend neben mir aus dem Gebüsch. Und plötzlich merken wir, das zwischen uns und dem Camping noch eine ziemlich tiefe Schlucht ist. Kein Weg führt da durch. Immerhin können wir die Mücken mit Antibrumm in Schach halten. Die eine oder andere Handvoll Moltebeeren hält uns bei Laune.
Wo ist nur der Weg? Auf der anderen Seite der Schlucht sehen wir Wege. Und ein paar hundert Meter zurück entdecken wir ein Steinmännchen im Gestrüpp. Dort befindet sich tatsächlich ein alter zugewachsener Weg. Dem folgen wir, und erreichen nach zwei weiteren kleinen Schluchten tatsächlich wieder die Zivilisation, das heisst eine Kolonie schicker Ferienhäuschen, zwischen denen Holzplanken über die Wiese als Wege gelegt sind. Die Füsse glühen, und die Knie sind butterweich.
Im Camping-Shop kaufen wir Bier und Chips für den Apero sowie Cordon Bleu und Gemüse fürs Abendessen (bis zum nächsten Restaurant laufen wir heute sicher nicht mehr). Das kostet ein Vielfaches der eigentlichen Camping-Gebühr (200 Kronen für uns beide und das Zelt für eine Nacht). Ein junger Littauer (Arturus) ist Saisonarbeiter auf dem Camping, ebenso seine Freundin. Mit dem Bier ertränken wir als erstes unsere Erschöpfung. Danach gehen Zeltaufbau, Duschen und Kochen viel besser. Das Cordon Bleu ist ein Traum. Gegen Mitternacht fallen wir komatös im Bett, ähh Schlafsack.
11.7.
Ab um 7 hämmert es heftig im Steinbruch auf der anderen Seite des Flusses. Erster Kaffee, Yoga, beratschlagen was weiter tun. Wir entscheiden uns, zum Voringsfossen und von dort weiter Richtung Rembedalsbren-Hütte zu laufen. Ein halber Ruhetag quasi. Vorher stehen Grosseinkauf, Wäsche waschen und Frühstück auf dem Programm. Bis wir loskommen ist es bereits nach Mittag. Arturo hat uns noch die Benzinflasche vom Kocher gefüllt.
Der Voringsfossen ist eine gross angelegte Touristenattraktion mit betonierten Laufwegen und Aussichtsplattformen. Von den 4 Wasserfällen, die sich in das Tal stürzen, führt leider nur einer Wasser.
Der Wanderweg startet direkt hinter dem Vossli-Hotel, und bringt uns unvermittelt zurück in die Wildnis. Ein steiler Pfad führt zunächst durch Krüppelwäldchen und niedriges Gebüsch. Es beginnt zu regnen. Juhu, endlich Ponchos anlegen! Weiter geht es bergauf, bis auf etwa 1300m.
Hier oben ist die Landschaft wieder richtig karg. Schneefelder, glattgeschliffene Felsplatten, schwarzes abgestorbenes Moos und vereinzelt ein Fleckchen grün bestimmt die Szenerie. Nach einer Weile im Abstieg suchen wir uns ein flaches Plätzchen für das Zelt. Nebenan fliesst ein Bach in einen Felsbett. Der Wind pfeift uns um die Ohren und verjagt die Mossis. In einer windgeschützten Ecke zwischen Felsen kochen wir uns Chäshörnli zum Znacht.
12.7.
Halb 6 weckt uns das Geräusch von leichtem Nieselregen. Egal, wir schlafen gleich wieder ein. Um 7 scheint die Sonne, und das Zelt ist schon wieder trocken. Nach dem Frühstück wandern wir los. Es geht sanft bergab. Nach etwa 15 Minuten sehen wir ein Pärchen beim Sonnenbaden neben einem Zelt unweit vom Weg.
Nach einem steilen Abstieg durchqueren wir ein kleines Tal mit Beerensträuchern und einer abenteuerlichen Seilbrücke. Am Fuss des nächsten Berghanges genehmigen wir uns das zweite Frühstück und geniessen die grandiose Aussicht auf die Schlucht, die in den Eidfjord mündet. Oben angekommen sieht man den Eidfjord und den etwas höher gelegenen Eidsee. In der anderen Richtungen öffnet sich ein breites langgezogenes Hochtal mit saftig grünen Wiesen, eingeschlossen von Felswänden und Bergen. Immer wieder mal hört man die Glocken von Schafen, die hier oben mutterseelenallein weiden, und manchmal sieht man sie auch.
Das Panorama ist fantastisch, und bleibt es für die weiteren Stunden. Mal kommt der Hardanger-Gletscher in Sicht, dann der Rembedalsetter-Stausee. Zum zweiten oder dritten mal treffen wir unsere Camping-Nachbarn wieder.
Der Wanderweg führt entgegen der Darstellung auf unserer Wanderkarte nicht mehr an der Gletscherzunge vorbei zur Hütte, sondern über die Staumauer. Der Abstieg zur Staumauer ist mühsam, oft matschig oder wenig liebevoll über grosse Felsblöcke angelegt. Aus dem Eiscafe im Staumauer-Restaurant wird leider nix, weil es das erhoffte Restaurant nicht gibt, sondern nur ein unbemanntes Instandhaltungsgebäude. Nicht einmal es Klo… Später erfahren wir, dass auf dem ursprünglichen Weg eine Brücke weggerissen wurde, und deshalb die Wegführung geändert wurde.
Ach ja, um die absolut untypischen Wetterbedingungen noch zu erwähnen: heute herrscht strahlender Sonnenschein, es sind locker 25°C. Wir pilgern in der Hitze eine alte Fahrstraße bergauf, geniessen den Blick auf die Gletscherzunge und die Rembedalsetter-Hütte auf der anderen Seite des Sees. Die Straße hört bei einer Mini-Staumauer an einem höher gelegenem See auf. Ein holländisches Pärchen kommt uns entgegen, und sucht bereits einen Platz zum Campen. Etwas später baden wir in einem unglaublich warmen (weil flachen) Bergsee.
Wir erreichen die (unbewartete) Wanderhütte. Darin gibt es eine Art Selbstbedienungs-Shop. Die Auswahl an Proviant ist jedoch eher auf das selbst Kochen in der Hütte abgestimmt - mehrheitlich lange haltbare Dosengerichte. Immerhin können wir Kekse und Pfeffer kaufen. Wegen des guten Wetters beschließen wir doch ausserhalb zu campen.
Kathrin findet einen tiptop ebenen Zeltplatz oberhalb des Wanderweges mit super Aussicht auf den Gletscher. Für das Wasser muss ich zwar mit dem Wassersack ein paar Minuten bis zum Fluss laufen, dafür hält es sich mit den Mücken in Grenzen.
Es gibt Maccaroni und Tomatensosse mit Salami zum Znacht. Und weil es immer noch so warm ist, fällt der Tee heute aus. Kaum ist die Sonne hinter dem Berg verschwunden, fallen Heerscharen von Mücken ein. Zum Glück sind wir bereits im Zelt :)
13.7.
Halb 8, strahlender Sonnenschein. Kaffee, Porridge, zusammenpacken - halb 9 sind wir auf dem Trail nach Finse, vorbei an den beiden Seen. Bei jedem Schritt steigen Scharen kleiner und grosser Mücken aus der Wiese und dem Moosgeflecht auf und stürzen sich blutdurstig auf die Waden der Wanderer.
Wir steigen durch einen verblockten Hang auf, dann über eine gewaltige Granitplatte. Vom Tal mit den Seen unter uns sind nur Wolken zu sehen. Langsam steigt das Wolkenmeer auf. Zwischenstop Hochplateau. Seen, quietschgrünes Moos, ein einsames Jungschaf blökt nach seiner Mutter. Kleine Wasserfälle entspringen Schneefeldern.
Der Trail steigt bis auf 1500müN. Die Seen werden immer größer. Eine heikle Passage führt über eine schmale Schneebrücke zwischen Fels und See. Dann ist der Berg umrundet und gibt die Sicht frei auf den Hardangervidda-Gletscher. Eisschollen schwimmen im blauen See darunter. Fehlen nur noch die Eisbären…
Der Abstieg Richtung Finse gestaltet sich teils mühsam. Grosse steile Schneefelder mit Rissen und breite Schmelzwasser-Bäche sind zu überqueren, und nicht immer ist der Weg klar ersichtlich. Irgendwann stelle ich fest, warum mein rechter Wanderstiefel so schnell nass wird - die Sohle ist gebrochen… Kathrin rutscht einmal bei einer Bachüberquerung aus, und wird kurz darauf noch von einer Biene gestochen.
Im Tal sieht man schon die Gebäude von Finse. Quälen wir unsere müden Beine noch ein oder zwei Stunden bis dorthin, oder campen wir hier oben bei traumhafter Aussicht? Wir bleiben, stellen das Zelt auf. Ein kleiner Pool zwischen Felsblöcken lädt zum Baden ein, und der leichte stete Wind hält die Mücken in Schach.
14.7.
Etwa halb 9 marschieren wir voller Vorfreude auf das zweite Frühstück hinab zum Finse-See, und von dort den stillgelegten Bahngleisen entlang nach Finse. Einmal mehr herrliches Wetter. Auf dem Fahrweg neben dem Gleis sehen wir etliche Fahrradfahrer. Von Finse nach Flam per Mietfahrrad zum radeln ist echt populär.
Kurz nach 10 erreichen wir den Bahnhof und das Hotel. Es wimmelt von Radlern in Aufbruchstimmung.
Proviant für unterwegs gibt es im Hotel zwar nicht, dafür aber richtigen Kaffee und Rosinenbrötchen. In der “Wanderhütte” gibt es immerhin Fertiggerichte in Becherform. Dazu kaufen wir jede Menge Riegel. Damit hoffen wir noch drei Tage durchzuhalten, und verlassen uns auf die Versorgung in den zwei Wanderhütte unterwegs im Aurlanddal. Ein richtiger Laden wäre schon besser, allerdings müssten wir dafür den restlichen Wandertag opfern.
Gestärkt mit einem leckeren Lachs-Ei-Sandwich und einem Rüeblikuchen brechen wir kurz nach 12 auf in Richtung Geiterygghütte. Wir steigen wie im Flug durch ein breites Tal von 1200 auf 1600m auf. Der Wanderweg ist breit und eben wie eine Rennpiste. Fast ganz oben gibt es sogar ein Café, welches leider nur im Winter bewartet ist. Etliche Wanderer sind mit uns unterwegs. Die meisten haben nur Tagesrucksäcke, gehen bis zum Café und dann wieder zurück nach Finse. Ein junger Norweger mit roten Rucksack spricht super Deutsch, ist jedoch deutlich schneller als wir unterwegs.
Oben angekommen hat man eine tolle Aussicht auf das Tal und den Hardanger-Gletscher. Ausser grossen Schneefeldern, ein paar Seen und viel Geröll wächst nicht viel hier.
Wir steigen ab durch den Hallingskeid-NP, schlittern über ein paar Schneefelder und tanzen auf grossen Steinen über die Schmelzwasser-Bäche. Auf unserer neuen detaillierten Wanderkarte sind neben den Fischerseen auch archäologische Artefakte eingezeichnet.
Die Geiterygghütte ist schon in Sichtweite. Wir beschließen wegen müder Beine und guten Wettern trotzdem zu zelten, und finden einmal mehr einen tollen Platz mit viel Aussicht und einer windgeschützten Kochecke zwischen gewatigen Bouldern. Zum Abendessen gibt es einen Riesentopf Teigwaren mit Tomatensosse und scharfer Salami. Perfect day!
15.7.
Heute gibt es keinen Porridge - in der Hoffnung auf ein tolles Frühstück in der Geiterygghütte. Die Hütte ist in Sichtweite, aber der Weg zieht sich immer wieder um Seearme und Bachläufe und natürlich über Stock und Stein. Ein älteres Pärchen kommt uns entgegen. Kathrin erkennt, dass die beiden genau ihren Wunsch-Rucksack tragen und fragt sie nach ihren Erfahrungen damit aus.
Irgendwann kommt die Sprache auf das Hüttenfrühstück. Bis um 9:30 gibt es das, und nun ist es schon nach 9 Uhr. Strammen Schrittes ziehen wir weiter. An der Rezeption angekommen ist es 9:25, und wenig begeistert erlaubt uns der Hüttenchef, ein paar Sandwiches am noch gedeckten Buffett zuzubereiten.
Am Buffett stapeln sich die Köstlichkeiten - selbstgemachtes Brot, verschiedene Käse, Schinken, Salami, Joghurt, Früchte und Salate. Das Hüttenpersonal ist schon halb im Abräumen. Gestresst und vor allem sehr hungrig mache ich mir lieblos zwei Sandwiches, kralle mir noch ein gekochtes Ei. Essen muss ich draussen… Kathrin macht sich drei Sandwiches. Für die bezahlen wir dann insgesamt 200 Kronen.
Vor der Hütte bereiten sich drei Familien mit gefühlt 10 kleinen Kindern auf den Abmarsch vor. Hinter der Hütte ist es ruhiger, nur ein paar Hühner picken im Grass herum. Wir sitzen auf den hölzernen Sitzbänken. Grummelig verzehre ich ein Sandwich und verliere endgültig die Nerven beim Schälen meines zu wenig abgeschreckten Eies.
Die offiziell angegebenen 7 Stunden Wegstrecke bis nach Østerbø liegen vor uns. Und dort hat es wieder eine DNT-Hütte mit ESSEN. Das solche Angaben (wie 7 Stunden) nur für Marathonläufer oder Triathleten ohne Gepäck realistisch sind, wissen wir bereits. Der junge Mann aus Oslo, der so gut Deutsch spricht, hat in der Hütte übernachtet und bricht ebenfalls gerade auf, sprintet allerdings wie gestern fix vorraus.
Es geht über ein dutzend Schmelzwasser-Bachtobel bergauf, bergab. Zur Abwechslung ist der Himmel heute blass verhangen. Die Landschaft ist karg, ein paar Blümchen, trockene Moose und Flechten. 1300 müN. Unter uns sehen wir Stauseen, eine Hochspannungstrasse, und sogar eine Strasse - stundenlang. Dann führt der Weg neben einem wilden Bach bergab zur stillgelegten Steinbergdalhütte auf Höhe des Stausees. Etwa Halbzeit. Immerhin hat es hier wieder Sträucher. Wir stärken uns mit Sandwiches und selbstgekochten Kaffee (es ist wirklich alles zugeschlossen hier), dann konsultieren wir das GPS. Bis nach Østerbø seien es 8km und 0 Höhenmeter. Ungläubig, aber motiviert brechen wir gegen 3 Uhr auf.
Natürlich geht es zunächst wieder bergauf. Und hinter jeder Kurve, gerade wenn man denkt, oben angekommen zu sein, geht es weiter bergauf durch wild verblocktes Terrain. Sträucher und Lupinen wachsen fast mannshoch, und etliche Bienen und Hummeln sind unterwegs.
Wir sind schon wieder auf über 1300müN, unsere Motivation ist im Keller und die Füsse tun weh. So kommen wir wohl erst nach Küchenschluss in der Hütte an. Tatsächlich führt der oft schmale und teils ausgesetzte Weg über gewaltige Felsbänder weit über dem oberen Teil des Aurlanddals entlang. Eine Gruppe älterer Norweger leidet offenbar genau so wie wir. Es ist so schmal und vor allem steil, dass man nicht zelten kann.
Eine gefühlte Ewigkeit später, etwa gegen 6 erreichen wir eine kleine grasige Hochebene mit Beerensträuchern und tollem Blick ins Tal. Weiter hinten donnert ein Wasserfall herunter, Wasser ist also auch kein Problem. Bis zur Hütte sind es in unserer Verfassung sicher noch zwei Stunden. Da wir noch Instant-Kartoffelbrei, Salami und Knoblauch haben, ist das Abendessen gesichert - wir beschließen das Zelt hier aufzustellen.
Ein Vollbad im nahegelegenem Bach, frische Kleider, und schon fühlen wir uns wieder besser. Kathrin sammelt sogar Heidelbeeren fürs Porridge morgen. Ein paar Steinwürfe entfernt bekommen wir Zeltnachbarn, eine schwedische Hippie-Frau mit Sohn und dessen Freundin. Unsere Notreserve, der Kartoffelstock mit der restlichen Salami schmeckt super.
16.7.
Um 6 klingelt der Wecker: heute soll es klappen mit dem zweiten Frühstück in der Østerbø-Hütte. Die Sonne scheint noch nicht auf unser Plateau. Kaffee, Heidelbeer-Porridge, nochmals den Blick von oben ins Aurlandsdalen geniessen. Kurz nach 7 brechen wir auf.
Auf dem Weg zur Hütte laufe ich vorraus. In einer kleinen Schlucht schrecken etliche hühnergrosse braun gefleckte Vögel mit langen Schnäbeln auf. Die Blätter der Birken sind durchlöchert und teilweise schon gelb - die lange Trockenheit hinterlässt bereits Spuren. Nach einer guten Stunde erreichen wir die Hütte. Sie liegt auf einer grossen Wiese über dem Stausee. Nebendran gibt es einen offiziellen Campingplatz, ein Restaurant sowie dutzende Wochened-Häuschen im klassischen Skandinavien-Stil. Wild gecampt wird ebenfalls.
In der Hütte treffen wir auch den jungen Mann aus Oslo wieder. Nachdem wir uns den Bauch vollgeschlagen haben machen wir uns auf zur vorerst letzten Wanderetappe nach Vassbygdi. Vassbygdi liegt fast auf Meereshöhe, also gut 800hm unter Østerbø. 6 Stunden sind dafür veranschlagt, und von Vassbygdi fahren Busse bis 19:00 weiter nach Flåm. Am Anfang des Trails finden wir uns in einer Karawane von Wanderern aller Alters- und Konditionsklassen wieder. Die meisten sind mit Tagesrucksäcken unterwegs und damit eigentlich schneller als wir. Wird der Pfad eng oder ergibt sich ein schönes Fotomotiv, stockt die Karawane. Wahrscheinlich sind wir zeitgleich mit einer Busladung Tagestouristen aufgebrochen.
Nach ein paar Kilometern verläuft sich die Menge etwas. Der Weg selbst führt mal direkt am Wasser entlang, mal hoch über der Schlucht durch lauschige Wäldchen, mal zwischen Felswänden und Felsblöcken hindurch, selten gerade und immer über Stock und Stein. Der Wald und die enge Schlucht machen das Wandern im Vergleich zu den letzten Tagen sehr abwechslungsreich. Ab und zu gibt es Hinweistafeln über historische Siedlungen, oder man sieht gerade die alten Ruinen.
Je näher wir Vassbygdi kommen, desto heisser brennt die Sonne. Kaum zu glauben - das ist Norwegen! Auf den letzten paar Kilometern gibt es jede Menge Himbeersträucher, mit vielen reifen Beeren - yummie! Das lenkt gut von der Hitze (über 30°C) und den müden Beinen ab.
Wir erreichen den Kiosk und Bushaltestelle von Vassbygdi kurz vor halb 5. Genug Zeit, um uns noch eine Erfrischung zu gönnen. Dumm nur, dass die gekühlten Getränke quasi ausverkauft sind - so viele Wanderer sind schon vor uns hier angekommen! Unter anderem auch der junge Mann aus Oslo. Endlich stellen wir uns vor: Björn heisst er, Schirmer mit Nachnamen. Was für ein Zufall!
Im Flåm verabschieden wir uns von Björn. Ein grosses Kreuzfahrtschiff liegt am Kai und überragt die anderen Gebäude um ein Vielfaches. Im Coop wollen wir uns ein Bier holen, und ohh je - auch dort sind die Kühlregale weitgehend geplündert! Wir bekommen zum Glück noch zwei kalte Dosen. Ein kurzer Schwumm im Fluss, bevor er ins Meer fliesst, dann gehen wir zum Camping, bekommen noch knapp ein Plätzchen. Die Übernachtung mit Zelt und zwei Personen kostet 225 Kronen.
Gleich am Eingang vom Campingplatz gibt es einen Imbisswagen und Sitzgruppen aus Holz. Dort genehmigen wir uns Fishburger, Kartoffelwedges und Salat. Dazu gibt es ein Lettöl, ein Leichtbier mit 2.5%. Und dann - endlich mal wieder richtig warm duschen, mit Seife!